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Vielfalt im ANDERSRUMportrait®
ANDERSRUMportrait® ist ein Kunstprojekt zu Vielfalt und Akzeptanz.
Mit über 3.852 Portraits – alle von hinten aufgenommen – ist dieses internationale Kunstprojekt weltweit einzigartig. Seit 2010 fotografiert die Künstlerin Alexa Seewald Menschen andersrum. Jedes der Portraits ist ein individuelles Statement für Diversity und gegen Diskriminierung.
Der Projekttitel ANDERSRUMportrait® basiert auf einem Wortspiel. „Andersrum“ wird in der deutschen Umgangssprache synonym verwendet für nicht-heteronormativ. Wer sich von Alexa Seewald andersrum fotografieren lässt, setzt mit seinem Portrait ein individuelles Zeichen für das „Andersrum-Sein“ - unabhängig von der eigenen sexuellen Orientierung oder Identität. Alleine die Überzeugung zählt.
Ein simpler Gedanke, der funktioniert. Seit sieben Jahren ruft das Kunstprojekt positive Reaktionen hervor wie „andersrum ist nicht verkehrt“ und „anonym und doch persönlich“. Die Portraits sorgen über einen spielerischen Umgang und eine Erhöhung der Sichtbarkeit für mehr Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Intersexuellen, Asexuellen, Trans* und Queers (LGBIAT*Q).
Die Portraits, welche in Lebensgröße im öffentlichen Raum für alle zugänglich ausgestellt werden, veranlassen häufig die Passanten sich selber zwischen den Portraits einzureihen und sich davor - ebenfalls andersrum - zu fotografieren. Dank zweisprachiger Informationstexte auf den Ausstellungsbannern, sowie einem integrierten Zugang zur dreisprachigen Webseite, können diese Selfies als spielerische Identifikation mit dem Kunstprojekt gedeutet werden.
Neben zahlreichen großen Ausstellungen der Portraits in Lebensgröße, wie beispielsweise auf dem Jungfernstieg in Hamburg, vor dem Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg, und rund um das Brandenburger Tor in Berlin, war das Kunstprojekt auch in Nord- und Südamerika (Chicago/ Uruguay) mit Ausstellung und Fotoshooting präsent. Die Teilnahme am Critical Arts Ensemble der dOCUMENTA (13) ist sicher eines der bisher größten Highlights von ANDERSRUMportrait®. Zudem ist eine Auswahl von 32 Portraits inzwischen ein Bestandteil des Fotoarchivs im Museum für Hamburgische Geschichte in Hamburg.
Die Zweiten Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg, Katharina Fegebank, die gleichzeitig auch Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung ist, war 2016 die offzielle Schirmherrin der Kunstkampagne ANDERSRUMportrait®.
Interview-Auszug in der "Süddeutsche Zeitung“ online (24. May 2012):
SZ-Magazin: Frau Seewald, brauchen wir Stereotype nicht zu einem bestimmten Grad, um uns identifizieren zu können?
Selbstverständlich. Schubladendenken ermöglicht uns ein schnelles Zurechtfinden und „Funktionieren“ im Alltag. Gefährlich wird es, sobald die Bereitschaft nachlässt, unsere eigenen Denkstrukturen und deren Auswirkung auf unser Handeln und auf das Wohlbefinden anderer zu hinterfragen und dynamisch zu halten. Frei nach Max Frisch: »Sobald du dir ein starres Bild von jemandem gemacht hast, hast du bereits aufgehört, ihn zu lieben.«
Indem Sie Leute umdrehen?
In der Tat. Menschen sehen lediglich das, was sie sehen wollen. Und dabei liegen wir oft falsch. So sieht man beispielsweise vieler meiner Portraits nicht an, ob es sich um einen Mann oder einer Frau handelt. Bei anderen Bildern meint man dagegen sicher zu erkennen, welchen Geschlechts die Person ist, dabei verhält es sich in Wahrheit konträr. Nicht zu vergessen die sexuelle Orientierung oder Identität. Im Alltag merken wir oft nicht, dass wir in Denk- und Sehgewohnheiten gefangen sind. So fotografiere ich nun seit zwei Jahren tausende von Menschen andersrum, die für die Freiheit des „Andersrum-Seins“ mit Ihrem persönlichen Portrait ein Zeichen setzten wollen. Zudem ist ANDERSRUMportrait® zu einer Plattform für die schwulen, lesbischen, trans*, inter-, bisexuellen und queeren Communities (abgekürzt: LGBITQ) geworden. Es geht um Akzeptanz, und gegen Homophobie. Zudem zeigen die über 2.500 Portraits die Vielfalt der LGBITQ-Communities, die über das Bild hinausgeht, welches wir für gewöhnlich in den Medien gezeigt bekommen.
Also glauben Sie, dass Homophobie immer noch ein Thema im heutigen Deutschland ist?
Ich kenne einige Menschen, die selbst in einer weltoffenen Stadt wie Hamburg noch heute aufgrund ihrer Homosexualität ein Doppelleben führen. Neben der Homophobie als einen möglichen Beweggrund, möchte ich ergänzend auch auf die Dominanz der bipolaren Geschlechterordnung und der lebenslangen hetero-normativen Prägung hinweisen.
Viele der Menschen auf Ihren Fotos lassen sich spontan auf Festivals fotografieren. Ist das wichtig für Ihre Arbeit?
Auch wenn manche Leute mich gezielt ansprechen, um sich in einer bestimmten Garderobe fotografieren zu lassen, und somit geplant zum Shooting erscheinen, lassen sich die meisten spontan fotografieren. Ich baue hierzu mein Fotostudio auf ausgewählten, szenerelevanten Großveranstaltungen auf und animiere die Menschen dazu, sich einfach »von der Straße weg« für die Kampagne fotografieren zu lassen. Das erlaubt mir, die Authentizität und Spontanität der Menschen einzufangen. Als Kontrast zur perfekt anmutenden Studiofotografie ist es mir wichtig, im Nachhinein an den Portraits nichts zu retuschieren und jedes Detail am Körper oder der Kleidung, welches nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht, sichtbar zu lassen und zu akzeptieren. Meist sind es sogar gerade diese Details, die das Foto besonders und liebeswert machen. Dadurch, dass ich sie nicht »verschönere«, verkörpern auch meine Fotografien Akzeptanz.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft? (2015 aktualisierte Antwort)
Aus den inzwischen sechs Jahren ANDERSRUMportrait® möchte ich einen hochwertigen Fotoband erstellen nud publizieren. Es sollen alle 3.000 Portraits darin vorkommen und themenvertiefende Texte wie Beispoelsweise zu Portrait und Sichtbarkeit oder zu Konstruktion von Gender in der Fotografie.
Zudem plane ich Projekte im Zusammenhang mit dem Diversity-Management in Firmen und für die moderne Aufklärungsarbeit in Schulen.
Begeleittext zur Ausstellung im Landtag Brandenburg, April-Juni 2012:
Eröffnungsrede, Landtag Brandenburg 2012
„… und außerdem ist sie ein bisschen andersrum.“ Singt Zarah Leander 1958 in ihrem Lied “Warum soll denn eine Frau kein Verhältnis haben”.
„ANDERSRUM ist seit Jahrzehnten das Synonym für Katalogisierung und das Schubladendenken der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft über nicht heterosexuelle Lebensweisen. Man kann dieses Wort mit einer gewissen spitzbübischen Ironie verwenden, so wie es Zarah Leander getan hat, oder als ein Schimpfwort.
Die Fotografin Alexa Seewald hat das Wort ANDERSRUM als Überschrift und Leitmotiv für ihr Projekt gegen Homophobie verwendet. Damit folgt sie der Tradition der Homosexuellenbewegung, stigmatisierende Bezeichnungen umzuwandeln in ironisch/wertschätzende Selbstbezeichnung der Communitiy.
Mit dem Projekt dreht die Fotografin – im wörtlichen Sinne – den Spieß, beziehungsweise die abgebildete Person um. Alle Portraitierten sieht man nur von hinten. Dabei können die von hinten abgebildeten Personen ihren eigenen Status bewahren. Mit der Präsentation ihrer Bilder visualisiert Alexa Seewald bei den Bauzaunverschönerungen oder Ausstellungen Lesben, Schwule, Transidente [und andere Minderheiten] als nicht mehr wegzudenkenden Teil der Gesellschaft”.
Interview erscheinen in “escape”, Ausgabe März 2011 (Auszug aktualisiert):
In den Köpfen der hetero- wie auch der homosexuellen Welt sind formelhafte Prototypen wie “Holzfällerhemd plus Kurzhaarschnitt gleich Lesbe” noch immer fest verankert. Dass das Foto eines modisch-elegant gekleideten Mädchens im Minirock Reaktionen hervorruft wie, “Die sieht doch überhaupt nicht lesbisch aus”, liegt auf der Hand. Alexa Seewald fragt zurück:
“Welche Faktoren bestimmen, wie jemand auszusehen hat? Wo sind die sogenannten “Bias Blind Spots”?
Bei vielen Fotos sieht man ja nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Oder – noch viel besser – man hinterfragt es gar nicht, weil man meint, es sei ein Mann, dabei ist es eine Frau und umgekehrt.